Pervitin und Serotonin: Wachmacher des 20. Jahrhunderts
Erstellt von r.ehlers am Montag 22. September 2014
Das Erste Deutsche Fernsehen hat am 11.8.2014 und bereits mehrfach in Wiederholung die spannende Dokumentation von Sönke El-Bitar über den Einsatz der Droge Pervitin im II. Weltkrieg gesendet,
Mit der deutschen Erfindung des Amphetamin „Pervitin“ scheinen die Soldaten geradezu Übermenschliches leisten zu können.
Bild und Bildunterschrift: ARD.
In früheren Beiträgen und in meinen Büchern habe ich schon einmal erwähnt, wie das Pervitin im menschlichen Gehirn das Schlüsselhormons Serotonin in dessen Funktion als Wachkontrollhormon benutzt, s. http://www.essenspausen.com/wach-bleiben-auf-der-arbeit/.
Im Grunde tun dies sehr viele Drogen von Alkohol und Nikotin über Kokain, Heroin und die Amphetamine Pervitin, Benzedrin, AN 1, Crack und CrystalMeth. Neben vielen anderen verschiedenen Wirkungen sind sie alle in der Lage, den Menschen auf übermenschliche Weise wach und konzentriert halten zu können. Dass diese außergewöhnliche Leistung letztlich allein vom Wachkontrollhormon Serotonin kommt, habe ich auf einigen -natürlich niemandem zum Nachahmen empfohlenen- Gewalttouren erlebt, zuletzt vor zwei Jahren auf einer 18-stündigen Autofahrt ohne jede Pause von Spanien quer durch Frankreich nach Düsseldorf.
Der Schlüssel zu solch phantastischer Leistung heißt also Serotonin, das als körpereigener Steuerstoff auch bei starker Inanspruchnahme harmlos ist und nicht süchtig macht. Von der Existenz von Serotonin und von seiner Bedeutung gewann man allerdings erst in den neunziger Jahren des letztenJahrunderts eine Vorstellung (§hormone of the nineties“). Es kann nicht ausbleiben, dass die Stellen, die Pervitin jahrzehntelang besonders im militärischen Interesse einsetzten, bald erkennen werden, dass sie die große Wachheit weit besser und zudem auf ganz gesunde Weise durch die Anhebung des Serotoninspiegels erreichen.
Für historisch Interessierte skizziere ich nachfolgend einmal kurz die Historie von Pervitin im 20. Jahrhundert:
Metamphetamin (Pervitin), eine japanische Erfindung von 1893 wurde ab 1934 von den Berliner Temmler-Werken produziert, die sich auch den Naemn schützen ließen. Die wach haltende Wirkung war so frappierend, dass der Stoff sgar Verwendung in der sog. Hausfrauenschokolade fand.
Nach Meinung von Experten erklären sich die Erfolge der Blitzkriege gegen Polen und Frankreich 1939 und 1940 durch den massiven Einsatz von Pervitin, das von der Wehrmacht allein von April bis Juli 1940 in einer Menge von 35 Millionen Tabletten bei Temmler gekauft wurde. Stichwörter: Panzerschokolade, Stuka-Tabletten, Hermann-Göring-Pillen, Marder und Seehund Kleinst-U-Boote, Sachsenhausen: Pillenpatrouille, Zwangsabgabe an Kindersoldaten.
Nach Auffassung der amerikanischen Psychiater Leonard und Renate Heston war Hitler spätestens seit 1943 pervtinsüchtig, eine Vorstellung, die jeder nachvollziehen kann, der in alten Filmen sieht, wie fahrig er sich bewegte. Als wegen der Suchtgefahr und schlimmer Nebenwirkungen Pervitin noch vor Kriegsende unter das Opiumgesetz fiel, wurde die Nutzung in der Wehrmacht ausgenommen.
Nach 1945 lagerten sowohl die Bundeswehr wie die NVA der DDR Pervitin für den Kriegsgebrauch ein. In der DDR lag es zur Verwendung für Piloten bereit bis 1988, für andere Verwendungen gab es das Nachfolgeamphetamin APo-Neuron. Auch die Amerikaner nutzten Pervitin, beispielsweise in Vietnam und in den Golfkriegen andere Amphetamine. Auch die private Nutzung von Pervitin höret nicht auf. 1953 bestieg Hermann Buhl erstmals den Nanga Parbat – mit Pervitin im Blut. Der Boxer Jupp Elze starb nach einer verheerenden Ringschlacht, in der er wegen Pervitin im Blut unvorstellbare „Nehmerqualitäten“ gezeigt hatte. Überhaupt wurden in sehr vielen Sportarten, voran beim Radsport, die Amphetamine in der ganzen Zeit von 1930 bis gegen 1975 zum Zwecke des Dopings benutzt. Andre Agassi, Ehemann von Steffi Graf, kam ins Gerede, weil er bis ins Jahr 1997 hinein mehrfach den Pervitin-Nachfolger Chrystal Meth konsumiert gehabt hatte.
Ganz überraschend machte ich im Jahre 1967 eine persönliche Erfahrung mit dem Pervitin-Nachfolger AN 1, die ich nicht vesäumen will kurz zu erwähnen. Ich habe mich vor dieser unwissenlichen Begegnung mit dieser Droge und danach immer bewusst fern von allen Drogen gehalten (seit ein paar Jahren sogar vom Alkohol). Damals aber hatte ich abends „was vor“ und wollte „gut drauf“ sein, obwohl ich mich von der vorhergehenden Nacht noch nicht richtig erholt hatte. Ich hatte im Studium mal was von Katovit gehört, das munter machen sollte. darum fragt ich in einer Apotheker danach. Mir wurde aber als viel wirkungsvoller das gerade auf den Markt gekommene AN 1 angeboten – frei verkäuflich. Schon Sekunden nach dem Schlucken der kleinen Tablette – noch beim Verlassen der Apotheke – sah ich die ganze Welt durch eine rosarote Brille. Ich begegnete den ganzen Tag lang nur netten Leuten. natürlich nahm ich am kommenden Tag noch so eine Wunderpille. Als es mich am dritten Tag drängte, gleich 3 Tabletten zu schlucken, beka ich es mit der Angst zu tun und warf das Sauzeugs weg. Zum Glück auch. Ich habe mitbekommen, dass damals Bekannte regelrecht süchtig wurden nach dem Stoff, der heute auf der Suchtliste steht.
Der Horror vor den Amphetaminen von Pervitin bis Chrystal Meth im 20.Jahrhundert bis heute ist kein Grund, nicht konsequent die großartigen Leistungsverbesserungen durch den körpereigenen Botenstoff Serotonin zu suchen, der ja schon im letzten Jahrhundert der eigentliche Grund für den Eintritt der enormen menschlichen Leistungsfähigkeit war. Noch sind wir aber weit davon entfernt, dass jeder Mensch lernt, mit diesem seinem wichtigsten Steuerstoff immenschlichen Gehirn klug umzugehen. Ich werde vorsorglich mal die Beschaffungsämter des Bundes anschreiben und auch die Pilotenvereinigung Cockpit. Es ist doch nicht richtig, dass immer wieder ganze Generationen von Menschen über längst bekannte Hilfen nicht aufgeklärt werden und demzufolge „dumm sterben“ müssen!
Sonntag 17. Januar 2016 um 18:23
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